Prosa, teils witzig, teils abgründig über unseren Alltag in Ikaria, der Insel der Hundertjährigen, von den Verflechtungen der Beziehungen, vom Glück, der Liebe und der unerschütterlichen Lebensfreude dieser Menschen. Ich habe eine ganze Reihe kleiner Inselgeschichten geschrieben. Die Links dazu findest du weiter unten.

Land zu verkaufen

Die Krise hat viele Gesichter

Seit einer knappen Woche bin ich wieder zuhause. Ich hatte ein paar tolle Tage in meiner alten Heimat verbracht, alle meine Lieben wieder gesehen und zwei schöne Griechisch-Tanz-Workshops in Zürich und Basel mit Isabella gehabt! Hat wie immer viel Spass gemacht, griechische Sonne und Klänge in den Schweizer Winter zu tragen!

Dass ich wieder zuhause war, spürte ich eigentlich schon in Athen. Als erstes umarmte mich die Sonne! Ich stopfte meine Daunenjacke und dicke Schleife in den Koffer und genoss den Tag mit Wolljacke und Sonnenbrille. Aber auch die Sonnenbrille konnte über die offensichtliche Armut in den Außenbezirken Athens nicht hinwegtäuschen.

Im Zentrum ist man versucht, zu fragen: „Krise? Wo?“ In der Ermou-Street (so was wie die Zürcher Bahnhofstrasse) laufen alle vollbepackt mit grossen Einkauftüten und erst beim näheren Hinsehen, merkt man, dass alle traditionellen kleinen einheimischen Läden verschwunden und den grossen anonymen Ladenketten wie Zara, H&M, Marks&Spencer und Co gewichen sind! In den Aussenquartieren sieht man jedoch unversehens leere oder verriegelte Geschäfte, Abbruchbuden, Drogenabhängige, bettelnde Frauen mit Kleinkindern auf dem Schoss, Obdachlose, leere Cafeterien und Tavernen und plötzlich wird einem klar, dass das Stadtzentrum eine aufpolierte Touristenvitrine ist.

Ich stand dann endlich am Flughafen Athen, als ich unverhofft, am Gate auf meine Maschine nach Ikaria wartend, auf meinen Nachbarn Dimitris traf. Er trat sofort freudig auf mich zu: „Willkommen im Vaterland (Patrida!)“ Mit seinem bekannten Humor fragte er mich, ob ich das schlechte Wetter mitgebracht hätte! Ein älterer Herr mit Krücken stemmte sich mühevoll vor uns aus dem Sessel und Dimitris ließ ihm mit einer galanten Handbewegung den Vortritt: „Die Zusammengeflickten zuerst!“

Eigentlich hätte Dimitris nichts zu lachen, da er seine Frau in Athen zur Chemo gelassen hatte. Er musste zurück auf die Insel, um nach seinem Hof und den Tieren zu sehen. Er konnte es sich finanziel nicht leisten, bei ihr zu bleiben und ihr beizustehen. Ich fragte nicht nach, denn in Griechenland glauben viele noch immer, wenn man vom Teufel, sprich vom Krebs, spricht, dann kommt er. Man nennt die Krankheit nur „die Böse“ und jeder weiß, wovon die Rede ist, ohne ihren Namen in den Mund zu nehmen.

Dimitris schnappte sich, das haben die griechischen Gentlemen drauf, mein Handgepäck – „Lass nur! Ich mach das.“ – und steuerte in den kleinen Bus, welcher uns zum Flugzeug, vielleicht sollte ich Flugzeuglein sagen, bringen sollte. Denn als wir es so klein und schmuck dastehen sahen, wurde ihm ganz anders. „Wer wird mir während dem Flug mein Händchen halten?“ Er saß dann eine Reihe hinter mir und ich beobachtete verstohlen, wie er, ein gestandener Mann von 60 Jahren, mit Bäuchlein und Schnurrbart, während dem ganzen Flug seinen Blick krampfhaft von der wundervollen Aussicht auf die Inseln unter uns, abwendete. Er liess es sich jedoch nicht nehmen, mit der adrett gekleideten Stewardess, welche uns Zückerchen verteilte, ein Schwätzchen zu halten, was ihn sichtlich zu beruhigen schien. In Ikaria angekommen, war er dann wieder ganz der Alte. Ließ den „Geflickten“ und mich zuerst aussteigen, schnappte sich meinen tonnenschweren Koffer vom Rollband und organisierte mir ein Taxi. So sind sie eben, die Ikarioten! Liebenswürdig, hilfsbereit, Gentlemen, immer mit einem lustigen Spruch und doch ein wenig wie große Jungs. Ich bin wieder zuhause gelandet!

Meine Männer haben mich sehnsüchtig erwartet, denn die Liebe geht, sprichwörtlich, eben doch (nicht nur, aber doch!) durch den Magen! Und so langsam habe ich auch meinen Alltag wieder sortiert. Das Wetter ist inzwischen stürmisch, regnerisch und schweinekalt! In der Schweiz war es zwar temperaturmässig kälter, aber die Kälte ist eine ganz andere! Hier ist es windig und feucht. Der Salzgehalt in der Luft bringt die gemessenen 8 Grad auf gefühlte unter null! Gott sei Dank ist der Kamin bei uns Tag und Nacht an und unser Häuschen schön warm und gemütlich. Wenn dann noch die Sonne kurz zwischen den Wolken hervor kriecht, tun es ihr die Menschen gleich, wie die  Eidechsen, welche bei jedem kleinen Sonnenstrahl auf einen Stein klettern und sich so viel Wärme als möglich speichern.

Jeden Vormittag gehe ich in unseren kleinen Laden, obwohl die Kundschaft wegen der Krise, erwartungsgemäß rar ist. Heute kam Lena* um ein kleines Namenstagsgeschenk für einen Nikos (St. Nikolaus, 6.Dezember) zu kaufen. Wir kamen ins Plaudern und nachdem sie, wie es die Sitte will, nach all meinen Verwandten in der Schweiz nachgefragt hatte, begann sie von ihrer eigenen Familie zu erzählen. Der Sohn Lehrer in Patras, seine Frau mit zwei Kleinkindern hier bei ihnen, den Schwiegereltern, im gleichen Haushalt. Der Sohn kann mit seinem kleinen Lehrergehalt die vierköpfige Familie nicht ernähren, hat sich in Patras ein kleines Zimmer gemietet und die junge Familie zu seinen Eltern nach Ikaria geschickt. Diese haben aber schon vor einigen Monaten die eigene arbeitslose Tochter, die Schwester des Lehrers also und gelernte aber arbeitslose Soziologin bei sich aufgenommen. Nun sind die Eltern gefordert mit ihrer kleinen Rente von 700€ die arbeitslose Tochter und die Schwiegertochter mit zwei kleinen Enkeln bei sich zu beherbergen und zu verköstigen. Die Tochter und die Schwiegertochter tragen durch kleine Gelegenheitsjobs so gut sie können etwas zum Unterhalt bei, aber allein schon die Wohnsituation ist mehr als eine Überforderung! Und dies ist kein Einzelfall! So geht es ganz vielen!

Unglaublich, wie teuer vieles hier in Ikaria ist! Jetzt, so frisch aus der Schweiz, fällt es mir besonders auf! Ein Liter Milch (UHT, nicht mal frisch!) 1.50€, Benzin 1.90€, Heizöl 1.40€. Kann jemand in Ikaria, wo es keine ÖV gibt, ohne Auto überhaupt existieren? Die Menschen müssen sich arrangieren so gut es eben geht, die Cafeterien und Tavernen sind leer, unser Laden leider ebenfalls, wie alle Geschäfte, denn Geld gibt es gerade noch, um die zahllosen Rechnungen zu begleichen und Lebensmittel einzukaufen.

Man könnte meinen, die Krise zeige sich nicht so arg in Ikaria, aber natürlich hat die Krise viele Gesichter.

Diese Geschichte ist natürlich, wie alle meine anderen, erlogen und erstunken, wie liebe ich doch die Kunst des Fabulierens, verwoben mit meinen Ein- und Ansichten, aber wie immer inspiriert von den Begegnungen und Begebenheiten mit den eigenwilligen, liebenswerten Menschen und der wundervollen Insel, die mich umgeben.

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