Prosa, teils witzig, teils abgründig über unseren Alltag in Ikaria, der Insel der Hundertjährigen, von den Verflechtungen der Beziehungen, vom Glück, der Liebe und der unerschütterlichen Lebensfreude dieser Menschen. Ich habe eine ganze Reihe kleiner Inselgeschichten geschrieben. Die Links dazu findest du unter dem Text.
Giftige Blüten
Seit einigen Tagen beobachte ich den riesigen Holderbusch vor der alten Steinscheune zwischen den zwei Häusern gleich links nach unserem Dorf auf der Hauptstrasse. Er ist riesig, höher als das Haus und die weissen tellerförmigen Blüten haben zuoberst angefangen zu blühen, deswegen konnte ich sie schon vor Tagen von weitem sehen. Schon bald ist es Zeit, dachte ich, für den Holdersirup mit frischen Zitronenschnitzen aus meinem Garten und der prickelnde Gout von einem kühlen Hugo mit frischer Minze schäumte mir beim blossen Gedanken auf der Zunge. Hugo kenn ich von meinen kurzen Schweiz-Aufenthalten, hier kennt man den nicht.
Jeden Tag, wenn ich zur Arbeit in unseren Laden fahre, sehe ich wie die Blüten mehr und mehr werden, der ganze Busch ist schon weiss übersäht und so langsam kommen sie in Reichweite. Noch sind es nicht genug, die tief hängen, denn man kommt, das weiss ich vom letzten Jahr, nur schwer an die unteren Äste, da der Baum so halb über eine hohe Trockenmauer in eine tiefer gelegene Terasse herunterhängt. Einige Tage noch, dann ist Erntezeit.
Heute Morgen wollte ich einige Rechnungen einzahlen auf der Post. Da kommt die Anna rein und sobald ich sie sehe, sehe ich Holderblüten, denn sie wohnt ja im unteren Stock gleich neben dem Holderbusch. Ihre Schwiegermutter wohnt im oberen Stock, auf Augenhöhe mit der weissen Blütenpracht, Dina, die hab ich immer gefragt, ob ich einige absammeln darf und sie hat jedes Jahr mit mitleidigem Blick, so, was diese Xenoi die ja keine Ahnung haben sich immer ausdenken, jeder weiss doch, dass dieser Busch nur Schatten spendet, sonst zu nix taugt, aber nun gut, nimm so viele du willst, die braucht ja eh keiner, mich wieder aus ihrer Küche gescheucht.
Dich wollt ich in deiner Avli besuchen, sag ich zur Anna. Besuchen? Warum? Sie bekommt nie Besuch, das weiss ich, weil ich vor ihrem Haus noch nie ein fremdes Auto gesehen habe. Sie schüttelt ihre langen platinblond gefärbten Haare, wenn man sich am griechischen Fernsehen orientiert die Lieblingshaarfarbe der Griechinnen, und schaut mich wie ein UFO mit ihren für morgens auf der Post viel zu stark geschminkten Augen an. Sie ist selbst eine Xeni, eine Fremde, eingeheiratet von Athen. Na wegen der Holderblüten, schliesslich steht der Busch gleich neben ihrem Haus, denk ich, ich kann da ja nicht einfach durch ihre Avli klettern und Blüten klauen. Eigentlich wollte ich deine Schwiegermutter fragen, aber nun frag ich eben dich. Erstens ist dieser Baum giftig, das weiss jeder, und zweitens hat meine Schwiegermutter da gar nichts zu befehlen, sie rollt ihre schönen schwarzen Augen gegen den Himmel, aber rein gar nichts!
Da fällt mir auch wieder ein, dass sie mit ihrer Schwiegermutter seit Jahren Krach hat, warum weiss keiner, aber dass sie Krach haben, das weiss jeder, die Schwiegermutter ist giftig, die sprechen kein Wort miteinander. Ich werde vorsichtig.
Du musst die Kusine meines Schwiegervaters fragen, die Toulla, der gehört der Baum, meine Schwiegermutter hat da rein gar nichts mitzureden. Ich höre das: die meint sowieso immer und überall mitreden zu müssen, ganz deutlich und sehe die Ohnmacht all der vergangenen Jahre stummen Widerstands über zwei Stockwerke verteilt in ihren zusammengepressten Lippen.
Okei? Ja da handelst du dir nur Ärger ein, sagt sie, ich hab mal Rosmarin von dem riesigen Stock daneben gepflückt, gut es war etwas mehr, ich wollte ihn verkaufen, aber der wächst ja eh überall, das hat einen Familienkrach sondergleichen gegeben, das kannst du mir glauben. In Ikaria pflückt man nichts, ohne zu fragen, geht mir so durch den Kopf, ich weiss das, alles gehört jemandem und dieser jemand hat es gepflanzt und gehegt, bis es alleine überleben konnte. Anna sagt: ich habe einen Laden in Athen gefunden, denen verkaufe ich manchmal einige Säcke wilde Kräuter, die zahlen gut, man muss ja schliesslich von irgendwas leben. Meine Mädels werden grösser, wollen Schuhe, Klamotten, du weisst schon, hast ja selbst eine Tochter. Mein Mann und die Ziegen, das reicht hinten und vorne nicht, das hat sie nicht gesagt, das habe ich nur gedacht.
Aber was willst du überhaupt mit diesem Gestrüpp, das ist giftig, das frisst keine Gais, lass lieber gleich die Finger davon! Sie verdreht wieder ihre viel zu viel Blau geschminkten schönen Augen, darin ist sie gut!
Nun bin ich dran. Ich will ihr helfen. Dann frag ich einfach den Onkel, den Mann von der Toulla, mit dem hab ich´s gut, ich hab ihm mal was aus dem Englischen übersetzt, eine Waschmaschinenanleitung, das hat er mir nie vergessen. Dann erzähl ich ihm auch wie gesund der Holder ist, ein farmako, eine Medizin, gesunder Tee, getrocknet oder eben Sirup, ideal als Basis für leckere Drinks, sage ich und muss wieder an einen prickelnden Hugo denken. Blätter und Stängel sind wirklich giftig, aber die Blüten haben´s in sich!
Echt? Tee? Hmm, sie zupft an ihren Haaren, du bringst mich auf eine Idee.
Ja gugel halt mal, sag ich. Ich bin nicht sicher, ob sie einen Computer hat, aber früher, vor mehr als dreissig Jahren, als ich hierhergekommen bin und die Alte vom ersten Stock mich überlegen lächelnd fragte, habt ihr auch Tiwi in der Schweiz, bitte was? Tiiiwiii, sie rümpfte ihre Nase und zeichnete mit ihrem Zeigefinger ein Rechteck in die Luft und sprach langsam laut und deutlich mit mir als wäre ich schwer von Begriff. Ich war ja schliesslich eine Xeni und alle Xeni stellen sich immer so dumm an, dachte sie wahrscheinlich: Tiwiiiiiiiiiiii! Damals gab es einen einzigen Fernseher im Dorfcafenion, abends versammelten sich alle dort, um die Nachrichten gemeinsam zu sehen. Was im Fernsehen erzählt wird stimmt hundertprozentig, da waren sich alle sicher. Nun heute ist eben gugeln ein Synonym für DAS STIMMT GARANTIERT. Na wenn’s schon im Internet steht!
Also dann kann man die Blüten wirklich gebrauchen! Anna strahlt mich schelmisch an und ich bin mir nicht ganz sicher, ob sie an giftigen Tee oder an einen leckeren Drink denkt. Mit Feuer in den Augen und wehender Mähne rauscht sie aus der die Post. Im Vorbeigehen raunt sie mir ins Ohr: Giftig sind also nicht die Blüten, sondern manche Menschen!
Diese Geschichte ist natürlich, wie alle meine anderen, erlogen und erstunken, wie liebe ich doch die Kunst des Fabulierens, verwoben mit meinen Ein- und Ansichten, aber wie immer inspiriert von den Begegnungen und Begebenheiten mit den eigenwilligen, liebenswerten Menschen und der wundervollen Insel, die mich umgeben.
Mein Filmtipp: Die deutschsprachige Culture-Clash-Komödie: Highway to Hellas – Zum Totlachen, liebenswürdig, zynisch, ehrlich, so lustig! Könnte in Ikaria spielen! Die Geschichte spielt vor dem Hintergrund der Finanzkrise auf der fiktiven griechischen Insel Paladiki. Die Inselgemeinde hat für ihr Öko-Tourismusprojekt „Galapagos in Greece“ einen Kredit von einer deutschen Bank erhalten und als Sicherheit ihr nichtexistierendes Elektrizitätswerk, das Krankenhaus und den Strand verpfändet… Hier kaufen
Mein Buchtipp: Sprachkalender 2018 – Die perfekte Vorbereitung für den Urlaub, deine tägliche Portion Neugriechisch mit abwechslungsreichen Texten, Grammatik- und Rechtschreibübungen. Die Übersetzungen und hilfreiche Grammatikerläuterungen werden auf der Rückseite der jeweiligen Kalenderblätter mitgeliefert. Dazu jede Menge wissenswertes über Land und Leute. Eine abwechslungsreiche Mischung aus Information, Unterhaltung und Übung. Die Übungen sind auch online als Audio-Dateien verfügbar Hier kaufen
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