Alles auf Anfang!
Gastbeitrag von Anna Avramidou – War das eine Aufregung in den vergangenen Tagen! Seit dem Sommer wohnen wir nun in unserem neuen Zuhause in Agios Dimitrios. Hier haben wir ein kleines Häuschen gekauft, mitten in der Natur. Ich hatte schon viel über die enge Gemeinschaft gerade in diesem Dörflein gehört. Auch das war ein Grund dafür, warum wir uns gerade für diesen Ort entschieden hatten. Es war uns wichtig aus der Anonymität, die wir oftmals in Deutschland erlebt haben, auszubrechen und eine echte Gemeinschaft zu finden, mit all ihren Vor- und Nachteilen und auch Herausforderungen.
Ich hatte mir viele Bilder dazu gemacht, wie unser Leben hier oben in dem kleinen Bergdorf, ca. 6 km vom Meer entfernt, aussehen wird. Würde es mich überfordern, wenn nette Nachbarn unsere Nähe suchten? Würde ich die Ansprüche erfüllen können, die an mich, als neues Mitglied der Dorfgemeinschaft, gestellt würden?
Würden wir vielleicht direkt überrannt werden, aus Neugier, wer „die Neuen“ sind?
Wie so oft, kam alles ganz anders…
Nach den ersten Wochen wunderte ich mich, dass ich recht allein in meinem Häuschen saß. Ich vermisste die Menschen und den Ort, der uns für die ersten zwei Jahre auf der Insel ein Zuhause gewesen war. Niemand nahm wirklich Notiz von uns. Gott sei Dank, schaute meine Freundin Ursula, die seit über 30 Jahren im selben Dorf lebt, ab und an vorbei.
Zu viel Aufmerksamkeit hätte mich überfordert, aber so gar nichts fand ich auch merkwürdig.
Auch unser Sohn Leander musste mit seinen elf Jahren seine Kämpfe im „neuen Rudel“ ausfechten. Die Menschen leben hier noch sehr archaisch. Nun, da er „der Neue“ im Dorf war, musste er sich erst einmal seinen Platz in der neuen Gemeinschaft erkämpfen (ja – leider im wahrsten Sinne des Wortes). Als Mutter, die immer schon für friedliche Lösungen war, fiel es mir schwer mit anzusehen, wie er manches Mal entweder mit Blessuren oder weinend und völlig fertig nach Hause kam.
Ganz anders reagierten die Eltern der anderen Kinder.
Es war so interessant zu sehen, wie die Erwachsenen hier damit umgehen. In Deutschland, bei meinen großen Söhnen, hatte ich es oft so erlebt, dass die Eltern die Konflikte der Kinder austrugen. Oftmals hatten die Kinder sich schon längst wieder vertragen, während die Eltern nicht mehr miteinander sprachen. Hier, auf Ikaria, hörte ich immer nur den Satz: „Das müssen sie mal selbst miteinander klären, es sind halt Kinder.“ Ein großes Vertrauen in die Fähigkeiten der Kinder kam mir hier entgegen. Natürlich sprachen wir viel mit Leander über seine Herausforderungen. Wir sagten ihm immer: „Sag uns, wenn wir aktiv werden sollen.“ Das sollte heißen, wenn wir mit den entsprechenden Kindern, Eltern oder Lehrern sprechen sollen, dann sag uns Bescheid. Aber bis auf ein Mal ist es nie so weit gekommen. Doch es hat uns viel Kraft gekostet seinen Schmerz auszuhalten. Denn hier spiegelten sich natürlich unsere eigenen Unsicherheiten und auch Erinnerungen aus unserer Kindheit wider.
Wie schaffen wir es also nun unseren Platz in dieser Gesellschaft einzunehmen?
Die Antwort kam von Ursula. „Macht euer Haus am 1. Januar auf!“, sagte sie. Okay, was sollte das bedeuten? Ursula beschreibt es in ihrem Blog über die Insel Ikaria so: „Der 1. Januar ist ein ganz besonderer Tag in meinem Dorf, in Ag. Dimitrios. Die Tische werden gedeckt und die Häuser geöffnet, damit das ganze Dorf gemeinsam den ersten Jahrestag begehe, in die Häuser einkehre und den Besitzern ein gutes neues Jahr wünsche. „Na ta pume?“ (Sollen wir für euch singen?) Wird immer beim Eintreten mit vielen guten Wünschen gefragt und danach die Kalanda gesungen. „Kali chronia!“ (ein gutes Jahr!) wünscht man sich.“
Sie erklärte mir, dass so die gesamten Dorfbewohner in unser Haus eingeladen und uns den Segen für das neue Jahr geben würden. Welch bessere Gelegenheit könnte es geben?!
So kam der Tag, an dem ich vor Aufregung schon morgens um halb sieben wach war (und das nach der Silvesternacht…). Wir hatten 15 Flaschen Wein gekauft, Massen an kleinen Keftedakia (kleine Frikadellen) gebraten und Mengen an sonstigem „Fingerfood“ gekocht. Ursula sagte: „Du läufst herum und fütterst die Gäste, damit sie auch bloß nicht hungrig aus deinem Haus gehen.
Und dann war es so weit!
Nach den üblichen Verzögerungen (ist halt Ikaria) und nach einigen Besuchen, die wir selbst mit allen zusammen den Häusern abstatteten, schlichen wir uns, wie es alle tun, die als Nächste dran sind, von der „Herde“ weg und machten unsere Tür auf. Was dann folgte, war ein unglaublich schönes und berührendes Ereignis. Fast 60 Menschen, egal ob jung oder alt, mit Gitarre, Bouzuki, Trommel (Adoni, der Trommler ist erst elf Jahre alt!), besuchten uns in unserem Häuschen, sangen für uns die Kalandalieder, hießen uns im Dorf willkommen und wünschten uns ein segensreiches neues Jahr. Nach ca. einer halben Stunde war alles vorbei und gemeinsam mit den anderen zogen wir zum nächsten Haus weiter. Wie ich gehört habe, endete dieser Abend morgens um 5 Uhr, im letzten Haus auf der anderen Seite des Dorfes.
Dieses Erlebnis fühlt sich für mich an wie ein Einweihungsritual. Und noch heute fühle ich mich ganz leicht und freudig, da wir nun offiziell Mitglieder dieser Gemeinschaft sind.
In dem kleinen Filmchen habe ich ein paar Eindrücke von diesem Tag festgehalten. Auch der Besuch in unserem Haus ist natürlich dabei!
Anna ist mit ihrer Familie vor zwei Jahren von Deutschland nach Ikaria ausgewandert. Sie arbeitet im Bereich „Achtsames Marketing“. Auf ihrem Blog SoundWorld findest du mehr Infos.
Mein Filmtipp: Die deutschsprachige Culture-Clash-Komödie: Highway to Hellas – Zum Totlachen, liebenswürdig, zynisch, ehrlich, so lustig! Könnte in Ikaria spielen! Die Geschichte spielt vor dem Hintergrund der Finanzkrise auf der fiktiven griechischen Insel Paladiki. Die Inselgemeinde hat für ihr Öko-Tourismusprojekt „Galapagos in Greece“ einen Kredit von einer deutschen Bank erhalten und als Sicherheit ihr nichtexistierendes Elektrizitätswerk, das Krankenhaus und den Strand verpfändet… Hier kaufen
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